Bauhaus in Bayern? Klingt vielleicht überraschend, ist es aber nicht! Während die Welt nach Weimar, Dessau und Berlin schaut, wo die Festlichkeiten zum 100. Jubiläum der Bauhaus-Schule bereits im Januar angelaufen sind, hat auch Bayern etwas zu bieten: auf einer grünen Wiese bei Amberg in der Oberpfalz steht das letzte Bauwerk von Walter Gropius, dem Gründervater der Bauhaus-Schule. Die wuchtige Halle, ganz aus Glas und Beton, baute Gropius für den Porzellan-Giganten Rosenthal – wie auch schon einige Jahre zuvor dessen Firmensitz im oberfränkischen Selb, rund 100 Kilometer entfernt.

Eine neue Kunstschule, die Leben, „Architektur, Plastik und Malerei“ völlig neu verbinden sollte, das war das Bauhaus für Walter Gropius, als er es 1919 in Weimar gründete. Es war für ihn ein intellektuelles Labor. Denn der moderne Mensch, brauche „seiner Zeit gemäße Wohngehäuse mit allen der Gegenwart entsprechenden Dingen des täglichen Gebrauchs“, so schrieben Gropius und László Moholy-Nagy in den „Grundsätzen der Bauhausproduktion“. Ein „Ding des täglichen Gebrauchs“, eine Tasse, ein Stuhl, ein Haus, müsse nicht primär „schön“ sein, sondern richtig „funktionieren“. Um es zu gestalten, musste daher zuerst sein „Wesen“ erforscht werden, damit es seinen Zweck optimal erfüllte. Den Bau der Zukunft stellten sich die „Bauhäusler“ als Gesamtkunstwerk vor: bestimmt durch eine neue Klarheit und Einfachheit, geometrisch und funktional, modern und ohne Schnickschnack. Die Gebäude sollten möglichst vielen Menschen ein besseres Leben und angenehmere Arbeitsbedingungen garantieren. Mit ihren Ideen läuteten Gropius und die Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy, Kandinsky, Klee, Feininger, Albers, Arndt, Schlemmer, Mies van der Rohe, Itten und die anderen die Moderne ein. So machte das Bauhaus durch seine avantgardistische Formensprache und mutige Reduktion auf das „Wesentliche“ international Schule und wurde von Weimar und Dessau nach ganz Deutschland und weiter nach Europa, Amerika und in die Welt hinausgetragen.

Sein Architekturstudium hatte Walter Gropius in München und Berlin absolviert, allerdings hatte er es ohne Diplom beendet, denn das genaue, akkurate Zeichnen lag ihm nicht so besonders. Deshalb machte er sich zunächst als Industriedesigner selbständig und entwarf Inneneinrichtungen, Tapeten, Möbel, Autos und eine Diesellokomotive, bevor es ihn zur Architektur zurück zog. Seine erste bedeutende Arbeit war 1911 das Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld an der Leine (seit 2011 gehört es zum UNESCO-Weltkulturerbe). Das Bedürfnis nach Licht, Luft und Klarheit sollte für Gropius über all die Jahre, egal ob in Amerika oder Bayern, immer das Wichtigste bleiben: 1961 holte ihn Philip Rosenthal, Erbe der Porzellandynastie, nach Oberfranken. Für das Werk dort entwarfen Walter Gropius und Alexander Cvijanovic, sein Kollege aus dem Bostoner Büro The Architects Collaborative (TAC ), den Neubau am Rothbühl, der gestalterisch ganz im Zeichen des Bauhauses steht.

Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb und so entstand auf dem Firmengelände 1967 eine lichte, funktionale Halle mit scheinbar schwebenden Schmetterlingsdach und moderne Fertigungsanlagen. Der absolut Clou: in einem Gewächshaus mitten in der Fabrikhalle lebten zwei rosarote Flamingos – ein Stück Exotik und Natur zur Erbauung der Arbeiter, deren Wohlergehen sowohl Gropius als auch Rosenthal sehr am Herzen lag. Außerdem gab es im „Feierabendhaus“ einen Aufenthaltsraum mit Billiardtisch, Bibliothek und Pingpong-Tischen zum Entspannen.
Für Rosenthal konzipierte Gropius weiterhin einen Stadtentwicklungsplan für Selb, der leider nie umgesetzt wurde, und die zweite Fertigungsanlage, das Thomas-Glaswerk in Amberg. Um ein Haar hätte er als Wettschuld auch noch für das Rosenthal-Maskottchen den wohl schicksten Saustall der Republik gebaut: einen Bauhaus-Bungalow mit Bullaugen-Fenster für das Glücksschwein „Roro“…

Gropius‘ letzter Entwurf war die „Glaskathedrale“ in Amberg – ebenso radikal wie genial. Mit dem Dreieckskonstruktion aus Glas und Beton zeigte Walter Gropius nochmals, wofür die Bauhaus-Architektur steht. Auf der Titelseite seines Bauhaus-Manifests 1919 war damals der berühmte Holzdruck „Kathedrale“ von Lyonel Feininger abgebildet, nun baute er selbst der Moderne eine Kathedrale: die aufgefächerten Dachflächen und das Mittelschiff sind aus Beton und Glas und erheben sich aus der Rasenfläche. So konnte von den Drehtüren an den Seiten kühle Luft hereinströmen und die heiße Luft über die Fensterklappen im Dach entweichen. Was für die über 400 Männer, die hier in den 70ern bei Temperaturen von bis zu 1200 Grad an den Öfen schwitzten, eine Riesenerleichterung war. Heute ist die Halle im Besitz der österreichischen Firma Riedel und die Trinkglas-Produktion läuft vollautomatisiert.

Gute Aussichten für Bauhaus-Fans: Ab Frühling 2019 soll Gropius‘ letztes Bauwerk nun auch für Besucher geöffnet werden. Ein Ausstellungsraum zur Bauhaus-Schule und zu Gropius soll hier entstehen. Wer das Glas-Schiff betritt, welches bisher nur Mitarbeitern zugänglich war, erstarrt erst einmal in fast ehrfürchtiger Andacht: die Dreiecks-Dachkonstruktion aus Glas und Beton öffnet sich an allen Seiten zur Natur und zum Himmel. Die Stützen sind so schlank gehalten, dass sie die Schneelast nicht aushalten würden – was bisher noch nie ein Problem war, da die Öfen immer liefen… Seinen Namen bekam das Gebäude wegen des Werkstoffs, der dort bis heute verarbeitet wird, aber auch wegen seiner Transparenz. Für das Umfeld der Produktionsstätte entwarf Gropius auch einen Wohngebäude-komplex mit fünf Häusern – nur zwei wurden jedoch fertig.

Ihre Fertigstellung 1970 erlebte Gropius leider nicht mehr, er starb am 5. Juli 1969 in Boston. Mit der „Glaskathedrale“ hatte er jedoch sein letztes herausragendes Denkmal des Funktionalismus geschaffen.
Das Tafelservice, das er ebenfalls für Rosenthal gestaltet hatte, „TAC“ wie sein Architekturbüro in den USA, existiert weiter und ist eine Ikone moderner Tischkultur. Gropius‘ Interesse für Porzellan war während der Planungsphase an der Rosenthal Fabrik am Rothbühl geweckt worden. Philip Rosenthal hatte es zunächst erst gar nicht gewagt, den berühmten Architekten für einen Entwurf anzufragen. „Da kann ich auch den Papst zur Taufe meiner Tochter bitten“, soll er gesagt haben. Doch dann hat er es sich wohl doch noch getraut.

Die 100 Jahre Bauhaus werden in Oberfranken und in der Oberpfalz mit Ausstellungen, Zeitzeugengesprächen, Konzerten und weiteren spannenden Projekten gebührend gefeiert. Im „netzwerk selb/amberg“ haben sich neun Institutionen in den bayerischen Städten Amberg und Selb zusammengeschlossen, um das dortige sehr besondere architektonische, städteplanerische und gestalterische Wirken von Walter Gropius und anderen Bauhäuslern zu würdigen. Mehr Infos zu Ausstellungen und Veranstaltungen unter www.selbamberg.de
Die Glaskathedrale Amberg ist donnerstags und sonntags jeweils um 16 Uhr im Rahmen einer Führung und nur nach Voranmeldung zu besichtigen.
Bauhaus-Highlights 2019 in Bayern
Gropius, Bauhaus und Rosenthal in Amberg, 9. Oktober 2018 bis 1. Dezember 2019, Stadtmuseum Amberg
Zum 100. Bauhaus-Jubiläum und 50. Todestag von Gropius 1969 werden die in Amberg produzierten Erzeugnisse in Glas von den Trinkglasserien bis zu den limitierten Kunstobjekten der Studio-Linie gezeigt.

Reine Formsache, 9. März bis 6. Oktober 2019, Staatliches Museum für Porzellan – Porzellanikon in Selb und Hoheneger an der Eger
Die Burg Giebichenstein in Halle war neben dem Bauhaus in den 20er Jahren die einflussreichste deutsche Kunstschule und ist bis heute lebendige Hochschule. In Hohenberg zeigen Lehrer und Absolventen von 1915 bis heute ihre Porzellanentwürfe für die Serie. In Selb stellt das „Designlab“ die Porzellanvisionen der Studierenden heute und das Experiment mit dem Werkstoff Porzellan in den Fokus. Die Arbeiten reflektieren neueste Formen, Ideen, Anwendungsgebiete und Forschungsergebnisse.

Radikal zeitgemäß. Rosenthal X Walter Gropius, 6. April bis 28. September 2019, Rosenthal am Rothbühl, Selb
Am authentischen Ort, dem von Walter Gropius entworfenen Fabrikgebäude, zeigt die Ausstellung die visionären Denkansätze des Gestalters, Architekten und Menschen Walter Gropius sowie sein Wirken für Rosenthal.

BAU [ SPIEL ] HAUS, 22. März bis 26. Juni 2019, Neues Museum – Staatliche Sammlung für Kunst und Design Nürnberg
Die Bauhausschule nutzte die menschliche Motivation zum Spielen als Motor für Entwicklung und Gestaltung. Das Neue Museum illustriert mit über hundert Werken aus über hundert Jahren dieses Vermächtnis und seine noch immer zukunftsweisenden Ansätze, aber auch die Lust am Spielen selbst: Sowohl der Ausstellungsraum als auch das Begleitprogramm laden zum Schauen, Lernen und Partizipieren ein, blicken in die Vergangenheit und machen neugierig auf Zukünftiges.

Gemalte Diagramme. Bauhaus, Kunst und Infografik, 31. März bis 29. September 2019, Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt
Um die erstaunlichen Wechselwirkungen zwischen Infografik und Kunst, deren Anfänge im Bauhaus und seinem Umfeld zu finden sind, geht es in Ingolstadt. Die Ausstellung ist Teil des deutschlandweiten, offiziellen Jubiläumsprogramms bauhaus100.
1919 begann auch eine Ingolstädter Designgeschichte: Traudl Brunnquell wurde geboren. Die Stiftung für Konkrete Kunst und Design widmet ihr und dem Lampendesign des Familienbetriebs aus Ingolstadt eine Ausstellung, bei der es mit den Entwürfen von Wilhelm Wagenfeld für Brunnquell abermals Verbindungen zu einem einstigen Bauhaus-Schüler gibt.

Baukastenprinzip auf Leinwand: Richard Paul Lohse, Fünfzehn systematische Farbreihen in progressiven Horizontalgruppen, Öl auf Leinwand, 150×150 cm, 1962 © VG Bild Kunst
Reflex Bauhaus: 40 objects – 5 conversations, 8. Februar 2019 bis 2. Februar 2020, Die Neue Sammlung – The Design Museum in der Pinakothek der Moderne, München
Ein Jahr lang treten die 40 bedeutendsten Bauhausobjekte, wie der grün-gelbe grafische Wandteppich aus der Bauhaus-Weberei von Anni Albers, in den Dialog mit zeitgenössischer Kunst. In Kooperation mit dem Künstler Tilo Schulz (geb. 1972 in Leipzig, lebt in Berlin) entstand eine Ausstellung, die 40 historische Objekte und fünf zeitgenössische Werke miteinander verschränkt.

Frankfurter Küche, in der Dauerausstellung Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
Die „Frankfurter Küche“ ist das Urmodell der modernen Einbauküche. Die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entwarf sie im Rahmen des sozialen Siedlungsbauprojekts „Das Neue Frankfurt“. Bis 1930 wurde die „Frankfurter Küche“ in ca. 10.000 Wohnungen eingebaut. Mittlerweile gilt sie als Ikone funktionalistischer Ästhetik. Ein Glücksfall brachte dieses seltene, noch erhaltene Exemplar ins Germanische Nationalmuseum. Ein Bügelbrett und ein Tisch sind ausklappbar an der Wand befestigt, Arbeitsflächen können ausgezogen werden. In der Folgezeit wird das arbeitsoptimierte System zwar übernommen, die Küche jedoch, je nach Platzangebot der Wohnung, maßgeschneidert. Bis heute hat sich an diesem Prinzip der Einbauküche nicht viel verändert.

Bauhaus – eine fotografische Weltreise, 20. März bis 2. Juni 2019, Aspekte Galerie im Gasteig, München
Im Mittelpunkt der Veranstaltungen zum Bauhaus-Jubiläum stehen zentrale Fragen: Welche innovativen Ideen gingen vom Bauhaus aus? Welche Visionen konnten sich – weltweit – durchsetzen? Weshalb fasziniert uns die Bauhaus-Idee heute noch? Was ist davon heute noch von Relevanz? Die Ausstellung „Bauhaus – eine fotografische Weltreise“ in der Aspekte Galerie präsentiert Werke des Berliner Fotografen Jean Molitor. Dieser drehte auch mehrere Auslandsreportagen für das Deutsche Fernsehen und veröffentlichte zahlreiche Bücher. Die Ausstellung zeigt wie die Ideen des Zusammenlebens und der Gestaltung die Entwicklung der modernen Architektur weit über die Grenzen Deutschlands beeinflusst haben.
Das gesamte Bauhaus-Jubiläums-Programm der Münchner Volkshochschule mit Führungen und Vorträgen gibt’s unter www.mvhs.de/bauhaus100

Alle Jubiläums-Ausstellungen und Veranstaltungen deutschlandweit findet ihr unter: www.bauhaus100.de!
Bild ganz oben: Ab Frühling werden Bauhaus-Fans nach Amberg pilgern, denn dort wird dann endlich eines der jüngsten Industrie-Denkmäler Bayerns zugänglich sein. Foto: Erich Spahn
Nathalie Schwaiger