Direkt zum Inhalt



Das älteste Dach Münchens - hoch hinauf im Alten Hof

Was diese alten Balken und dieses Dach schon alles erlebt haben mögen! Sie haben die Jahrhunderte, Brände, Kriege, Belagerungen und Eingriffe durch die moderne Stadtplanung überstanden. Hoffentlich seid ihr alle schwindelfrei und habt keine Angst vor Spinnweben, denn #AufdemHolzweg klettern wir heute mit euch auf den Speicher - aber nicht auf irgendeinen verstaubten Boden, sondern in den wohl ältesten Dachstuhl Münchens im Alten Hof.

Aus Sicherheitsgründen ist der Zugang leider untersagt, aber heute bekommt ihr die seltene Chance, einen Blick in den historischen Dachstuhl zu werfen: mit David Grüner, denn er hat die Lizenz zum Forschen...

Der Alte Hof in München - ein Rundgang mit dem Dachstuhl-Experten David Grüner

David Grüner erforscht Speicher und Dachstühle, je älter desto lieber
Wie ein Geschichtsbuch: die Zimmersleute von damals und der Zahn der Zeit haben das Holz mit Zeichen und Kerben überzogen
Moderne Technik trifft auf alte Handwerkskunst: der Wissenschaftler vermisst und dokumentiert jeden einzelnen Balken
Schön verziert: mit den Einkerbungen haben die Zimmersleute ihr Können gezeigt, Foto: Alois Wieshuber
Die Aussicht auf die Münchner Frauenkirche aus den Dachgauben des Alten Hofes ist wirklich einmalig, Foto: Alois Wieshuber

"Wenn Balken nicht feucht werden oder einem Feuer zum Opfer fallen, dann sind sie praktisch unzerstörbar und überstehen problemlos mehrere Jahrhunderte. Diese hier sind von 1425-27 und wie man sieht noch wunderbar stabil und super in Schuss", schwärmt Grüner. Hauptberuflich arbeitet der Allgäuer als Bauvermesser - kein Wunder also, dass er ein besonderes Auge für Holz hat: "Holz fasziniert mich, weil es so vielseitig und nachhaltig ist", erklärt er.

Für die Recherche zu seiner Dissertation über "Historische Dachtragwerke und frühe liegende Stuhlgerüste von 1400 bis 1440" verbringt Grüner dieses Jahr viel Zeit auf dem Dachboden: "An die vierzig Dachstühle werde ich für meine Doktorarbeit begutachten, etwa die Hälfte - von Nördlingen, über Bamberg bis München - habe ich bereits untersucht. Aber der Zwingerstock hier in der alten Kaiserburg (externer Link, öffnet neues Fenster) ist etwas ganz Besonderes: der nördliche Teil ist das früheste Beispiel in Bayern für eine liegende Dachstuhlkonstruktion." Als "liegend" wird die Konstruktion bezeichnet, wenn das tragende Gerüst schräg verlaufende Stützen aufweist, ähnlich eines Bockgerüstes.

Wie alt der Dachstuhl ist, das ist für Grüner kein Geheimnis: "Dendrochronologische Untersuchungen haben ergeben, dass die ältesten Balken aus den Jahren 1425-27 sind. Aber auch ohne Datierung aus dem Labor liefern die Verbundstellen, die Techniken und das Material Indizien für eine bestimmte Zeit." Auch den Unterschied von Eiche und Nadelholz erkennt der Fachmann sofort: "Die Ringe hier zeigen, dass es ein Laubbaum ist. Für die tragenden Balken wurde die stabile Eiche verwendet, die aufliegenden waren dann oft aus Fichte oder Tanne."

Der Wissenschaftler, der Denkmalpflege studiert hat, vermisst und untersucht die Balken, die tragenden, die stützenden und die schwebenden, die alten und die neueren, mit denen der Dachstuhl ausgebessert wurde. Er zeichnet, fotografiert und dokumentiert jeden einzelnen. Ganz besonders aber interessieren ihn die "Gefügepunkte" - die Stellen, wo die Hölzer miteinander verbunden sind. Mit all diesen Daten füttert er seinen Laptop und fertigt einen Bauplan an. Viele Balken sind noch Original, an den Seiten erkennt man noch die "Abbundzeichen", die Rötel-Markierungen und Kerben der Zimmerleute. Anhand der Zeichen wussten die Handwerker, wie sie das Dach später zusammenmontieren sollten.

"Die Zimmerleute müssen stolz gewesen sein, hier in der herzoglichen Burg zu arbeiten", erzählt Grüner, "denn im mittleren Teil sind die Balken zum Innenraum hin mit Einkerbungen verziert. Was für einen Dachstuhl sehr ungewöhnlich ist. Da wollte eindeutig jemand zeigen, was er kann!" Der mittlere Teil des Zwingerstocks ist zwar nicht ganz so alt wie der nördliche, aber dafür um so bemerkenswerter: das dreigeschossige Kehlbalkendach mit Firstriegeln und Hängeeisen könnte früher einen nicht mehr vorhandenen Saal überspannt haben.

Die Sonne filtert in schrägen Strahlen durch die Fensterluken, die Staubpartikel tanzen durch den meterhohen Raum, gestützt von hohen Balken in X- und Y-Form. Es riecht nach Holz und langer Geschichte. Die Fußgänger unten im alten Hof sehen winzig klein aus. "Hier oben scheint die Zeit still zu stehen, das Gewusel und die Hektik der Stadt sind weit weg", lacht der Holzexperte, in Arbeitshose und mit Vollbart, "das gefällt mir an meinem Beruf. Und auch dass ich an Orte komme, wo andere keinen Zutritt haben."

Den Dachstuhl im Alten Hof besuchen könnt ihr leider nicht, dafür aber über den Infopoint in die historischen Gewölbekeller hinabsteigen und euch die Multimedia-Schau zur Kaiserburg und Münchner Stadtgeschichte anschauen (Mo-Sa 10-18 Uhr). Dort erfahrt ihr auch mehr über den legendären Affenturm.

Infopoint Museen & Schlösser in Bayern und Ausstellung Münchner Kaiserburg (externer Link, öffnet neues Fenster)
Alter Hof 1
80331 München
Tel. +49 (0)89 21 01 40-50

Abb. ganz oben: Balken mit Geschichte - das Holz scheint den Duft vergangener Jahrhunderte zu atmen, Foto: Alois Wieshuber

Nathalie Schwaiger