Direkt zum Inhalt



Zu Gast bei Gabriele Münter in Murnau

Franz Marc, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin, August Macke und Arnold Schönberg - sie alle kamen zu Gabriele Münter zu Besuch nach Murnau. Das hübsche blau-weiße Haus an der Kottmüllerallee mit Blick auf den Zwiebelturm der Kirche und das Schloss hat Kunst-Geschichte geschrieben. Im "Russenhaus", wie man es im Ort damals nannte, traf sich die künstlerische Avantgarde und wurde der Almanach „Der Blaue Reiter“ vorbereitet.

Ich habe dort [in Murnau] nach kurzer Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht, vom Naturabmalen – mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren, zum Geben eines Extraktes.

Gabriele Münter

Am 21. August 1909 kaufte Gabriele Münter ihr Refugium am Staffelsee und vor 20 Jahren wurde es als Museum und Ort der Erinnerung allen Kunst-Interessierten zugänglich gemacht, ganz so wie sie es wollte.
Hier sind eine Auswahl von Fotografien und Gemälden in den Räumen, die in den Originalzustand von 1909 bis 1914 zurück versetzt wurden, zu sehen.
Die Malerin, der auch international immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird (in Paris wurde ihr beispielsweise 2020 eine erste große Retrospektive in Frankreich gewidmet), war bei weitem kein unscheinbares "Künstlerweiberl", sondern eine wichtige Wegbereiterin der Moderne.

Gabriele Münter, Interieur, 1910. Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Zwischen 1909 und 1914 verbrachten Münter und der zehn Jahre ältere Wassily Kandinsky in ihrem oberbayerischen Idyll kreative, intensive Wochen. Sie richteten das Haus gemeinsam ein, legten den Garten an und verzierten die Treppe und die Möbel nach ihren eigenen Vorstellungen. Die Murnauer Landschaft, der Staffelsee, das Moos, die Berge, der Kirchturm, das Haus, der Garten wurden für beide zu einer wichtigen Inspirationsquelle. Oft malten sie den Blick aus dem Fenster zur Kirche und zum Schloss. In Murnau fand Münter zu einer neuen, kraftvollen Bildsprache mit leuchtenden Farben und Kandinsky vollzog den Schritt zur Abstraktion.
Im Ort hingegen blieb man skeptisch und machte lieber einen großen Bogen um das „Russenhaus“, wo nicht nur Kandinsky und Münter in wilder Ehe lebten, sondern auch Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin und andere Künstler, Musiker und Intellektuelle ein und aus gingen.

Eines der berühmtesten Motive der Kunstgeschichte: der Garten wurde 1999 nach den Vorstellungen und Zeichnungen von Kandinsky angelegt. © Nathalie Schwaiger

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete die tragische Liebe zwischen dem Lehrer und seiner Studentin – Kandinsky ging nach Russland, Münter blieb verbittert zurück und wanderte schließlich nach Skandinavien aus. Nach ihrer Rückkehr 1920 wurde das Murnauer Haus für sie zu einem wichtigen Rückzugsort, auch wenn ihr Lebensmittelpunkt zunächst nicht dort lag. Erst ab 1931 lebte die Künstlerin dauerhaft in ihrem Haus in Murnau - bis zu ihrem Tod 1962. Die letzten Jahre teilte sie es mit ihrem neuen Lebensgefährten Johannes Eichner.

Gabriele Münter, Porträt, um 1935, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Münters Ausnahme-Talent zeichnete sich früh ab: schon mit 14 Jahren malte sie - am liebsten Porträts - deshalb durfte sie in Düsseldorf eine Zeichenschule besuchen. Was viele nicht wissen: von ihr existieren auch über 2000 Fotos. Durch das Erbe der Eltern abgesichert, ihr Vater war ein wohlhabender Zahnarzt, lebte sie zwei Jahre in Amerika. Dort entstanden auch viele ihrer frühen Fotografien. Mit 22 hatte sie eine Kamera geschenkt bekommen, mit der auf ihren Reisen, in Tunesien, Frankreich, Holland und der Schweiz, aber auch in Murnau äußerst künstlerisch-durchkomponierte Aufnahmen entstanden.
Nach der Trennung von Kandinsky fotografierte Gabriele Münter fast nicht mehr. Auf den wenigen Bildern, die es aus der Zeit noch von ihr gibt, blickt sie oft sehr ernst, traurig oder deprimiert.

Gabriele Münter, Fräulein Ellen im Gras, 1934. Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München © VG Bild Kunst, Bonn 2024

Auch wenn die Liebesgeschichte zwischen Kandinsky und ihr nicht gut ausging, so bewahrte sie doch im Keller ihres Hauses einen unermesslichen Schatz an Bildern, vor allem von Kandinsky sowie eigene Werke und die anderer Protagonisten des „Blauen Reiter“ und seines Umkreises, und rettete diese über die Zeit des Nationalsozialismus. Anlässlich ihres 80. Geburtstages schenkte Gabriele Münter zahlreiche Gemälde der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München und begründete so deren einmalige Sammlung.

Münter vor der Gartenlaube des Murnauer Hauses, 1910. © Wassily Kandinsky Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München

Genau genommen waren es auch nicht Münter und Kandinsky, die die anderen Künstler zu einer Reise nach Murnau inspirierten, sondern umgekehrt: Jawlensky und Werefkin luden das befreundete Paar ein, zu ihnen aufs Land am Staffelsee zu kommen - Bayern war schon damals absolut "in". Nach einem gemeinsamen, produktiven Malsommer in Murnau 1908 vertieften sich in München die Diskussionen des progressiv gesinnten, erlesenen Künstlerkreises, der sich regelmäßig im Salon von Jawlensky und Werefkin in Schwabing traf. Doch es kam zunehmend zu Unstimmigkeiten und Rivalitäten zwischen den berühmten Künstlerpaaren und schließlich auch zum Bruch: 1911 traten Kandinsky, Marc und Münter aus der "Neuen Künstlervereinigung München" aus und organisierten eine eigene Schau, die zur legendär gewordenen ersten Ausstellung des "Blauen Reiter" wurde.

Alexej von Jawlensky, Landschaft bei Murnau (Gelbe Abendwolken), um 1910, Öl auf Karton, 33,2 × 41,2 cm, Hilti Art Foundation, Schaan, Liechtenstein © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Nathalie Schwaiger