Wie viele Zähne braucht ein Liopleurodon? Wie baut man einen Tylosaurus? Wie schafft man es, eine fünf Meter lange Riesen-Schildkröte an der Decke aufzuhängen? Und wie kommt ein 12 Meter langes Urzeitreptil nach Rosenheim? Mit diesen Tüftelfragen musste sich das internationale Saurier-Spezial-Team im Lokschuppen auseinander setzen. Hier gewähren wir euch einen einmaligen Blick hinter die Kulissen der weltweit größten Meeressaurier-Schau und entführen euch ins Erdmittelalter, als Europa noch eine von Wasser bedeckte Insellandschaft war …

Saurier im Lokschuppen Rosenheim
„Am wichtigsten ist die Diskussion am Anfang, wie das Modell aussehen muss. Die Haltung, die Haut, die Augen, die Größenverhältnisse – alles muss stimmen“, sagt der Kurator der Ausstellung Dr. Bernd Herkner, der schon als Junge von Sauriern fasziniert war. „Wenn der Bau der Modelle in der Werkstatt begonnen hat, können wir nichts mehr ändern.“ Herkner, inzwischen Direktor des Naturhistorischen Museums Mainz, hat gemeinsam mit dem Team um Prehistoric Minds – dem Paläontologen Dr. Simone Maganuco und dem Zeichner Davide Bonnadonna die prähistorischen Meeres-Echsen geplant. Der Teufel steckt dabei oft im technischen Detail. Große Modelle müssen zerlegbar sein, und sie dürfen nicht zu schwer werden, weil sie an die Decke gehängt werden.

Davide Bonadonna brachte als Zeichner die Modelle erst auf Papier, danach auf den Computer. Dort entstand ein virtuelles 3- D-Modell der Saurier. Eine Maschine fräste anhand dieses Modells aus Styroporblöcken ein echtes Modell. Die Styropormodelle bekamen dann einen Überzug aus Kunstharz und Polyester. Auf die Oberfläche wurde Ton aufgetragen, um die Hautschuppen zu gestalten. „Das machen wir an manchen Stellen per Hand, auf großen Flächen mit Stempeln und Rollen. Stets achten wir aber darauf, dass wir streng nach den wissenschaftlichen Vorlagen arbeiten“, erläutert Simone Maganuco von Prehistoric Minds.

Der Paläontologe aus Italien legt großen Wert auf die wissenschaftliche Genauigkeit. Über den feuchten Ton bekam der Körper eine Hülle aus Kunstharz. Die Tonhaut drückte sich auf der Innenseite der Hülle mit allen Details ein. Die Hülle wurde danach abmontiert – so entstand eine Gussform für die einzelnen Abschnitte eines Saurierkörpers. Mit diesen Gussformen wurden dann die endgültigen Modelle gegossen. Allein für die Produktion des Tylosaurus waren 600 Arbeitsstunden nötig.

Unterwasser-Action vor 150 Millionen Jahren
Im Urzeit-Meer wimmelte es an Krebsen, Schnecken, Muscheln und Seelilien, die am Meeresboden lebten. Quallen, Einzeller und kleine Tintenfische trieben durchs Wasser. Neben dem gewaltigen Tylosaurus drehten Fischsaurier, der langhalsige Nothosaurus, gefräßige Pliosaurier und Plesiosaurier und der riesige Urzeithai „Squalicorax“ ihre Runden. Urzeitkrokodile und die Mega-Schildkröte Archelon, die einst eine Größe von 4,60 Metern und ein Gewicht von bis zu 2 Tonnen erreichte, schwammen vorbei.

22 spektakuläre Modelle von Meeressauriern begeistern derzeit im Ausstellungszentrum Lokschuppen in Rosenheim kleine und große Saurierfans. Auf Sattelschleppern und in Einzelteile zerlegt kamen sie über den Brenner nach Rosenheim. Denn die Giganten der Meere wurden nach neuestem Forschungsstand von einem internationalen Team aus Wissenschaftlern, Paläontologen, Kunsthandwerkern und Künstlern in Venetien entwickelt und produziert.

Die Installation der anderen Modelle in der Ausstellung war keine leichte Sache – bei einem Gewicht von bis zu 250 Kilogramm. Der längste Meeressaurier war der Tylosaurus mit 12 Metern, ein gefräßiges und für die anderen Lebewesen in den Ozeanen gefährliches Tier. Wenn er Hunger hatte, war kaum etwas vor ihm sicher, denn seine Zähne konnten bis zu 20 Zentimeter lang werden, er war extrem wendig, schnell und daher ein ausgezeichneter Jäger.
Nur der Liopleurodon, der schon vor dem Lokschuppen aus dem Wasserbecken auftaucht, konnte es mit ihm aufnehmen. Selbst die gut gepanzerten Meereskrokodile waren seinem knochenbrechenden Gebiss wehrlos ausgeliefert.

Rund drei Millionen Euro haben die Veranstalter in die Ausstellung investiert, für seine wissenschaftliche Gründlichkeit ist der Lokschuppen bekannt. Es ist die weltweit größte Ausstellung über Meeressaurier. Die Giganten der Meere entführen euch ins Erdmittelalter, ins Trias, Jura- und Kreide-Zeitalter. Geologische Aspekte der Erdentwicklung werden ebenso behandelt wie die großen Aussterbe-Ereignisse, die keiner der Urzeitriesen überlebt hat.

Einmalig sind auch die über 200 hochkarätigen originalen Fossilien, Skelette und Modelle, die aus dem Senckenberg Naturmuseum Frankfurt und weiteren renommierten europäischen Museen stammen. Sie zeigen anschaulich, dass das Leben im Meer entstand und sich von dort seinen Weg an Land gebahnt hat. Unbedingt sehenswert ist auch Europas größtes digitales „Paläoaquarium“, in dem ihr 3 D-animierte Saurier in Originalgröße erleben könnt. Die computeranimierten Tiermodelle der Infografen aus Lübeck sind nach einem Zufallsmechanismus generiert und wirken täuschend echt.

Die Ausstellung „Saurier – Giganten der Meere“ im Lokschuppen Rosenheim ist noch bis 12. Dezember 2021 geöffnet, jeweils Montag bis Samstag von 9 bis 18 Uhr sowie sonntags und feiertags von 10 bis 18 Uhr.
Zur Ausstellung ist auch ein Familien-Mitmach-Katalog mit coolem Saurier-Quartett entstanden, außerdem bietet der Lokschuppen spannende Führungen und Workshops für Eltern und Kinder, Schulen, Horte und Kindergärten an.
Abb. ganz oben: Zwei Modellbauer bei der Arbeit am Kopf des Tylosaurus. Noch hat das Modell keine Zähne, die werden separat angefertigt und erst viel später eingesetzt © VKR / Foto: Andreas Jacob
Gastbeitrag von Thomas Wagner, Ausstellungszentrum Lokschuppen Rosenheim