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Heilung durch Glaube - das Strigel-Museum und das Antoniter-Museum in Memmingen

Auch schon vor Corona gab es Krankheiten, die die Menschheit vor Rätsel stellten. Eine von ihnen war das "Antoniusfeuer", das im Mittelalter grassierte. Der Orden der Antoniter, benannt nach dem Heiligen Antonius, war auf die Pflege dieser Kranken spezialisiert. Eines der ersten Hospitäler Europas war in Memmingen.
Heute stellen wir euch gleich zwei Geheimtipps dort vor: das Strigel-Museum und das Antoniter-Museum, die ihr, wenn ihr euch für Geschichte und speziell das Mittelalter interessiert, unbedingt besuchen solltet! Fresken des Memminger Malers Bernhard Strigel könnt ihr auch in der "Kinderlehrkirche" bewundern, der ehemaligen Klosterkirche der Antoniter. Während des Gottesdienstes in der gegenüberliegenden Martinskirche wurden die Kinder hier unterrichtet - daher ihr Name.

Ein Gastbeitrag des Strigel-Museums und des Antoniter-Museums

Auf den Spuren des Antoniterordens

Quizfrage: Wo steht die älteste noch erhaltene Anlage des Antoniterordens in Europa? Nein, nicht im Gründungsland Frankreich. In Memmingen!

Um dies zu verstehen, muss man etwas in der Geschichte zurückgehen. Mitte des 12. Jahrhunderts bekam Memmingen das Stadtrecht verliehen. Letztlich war das der Auslöser für eine Blütezeit, die die Stadt vor allem im Spätmittelter und der frühen Neuzeit zu einem wichtigen Kultur- und Handelszentrum werden ließ.

Älteste Ansicht der Stadt Memmingen, Kupferstich von Georg Wechter, 1573 © Stadtarchiv Memmingen © Stadtarchiv Memmingen

Die Antoniter

Von Frankreich aus fand die Laienbruderschaft weite Verbreitung in Mitteleuropa. Memmingen war eine der ersten deutschen Niederlassungen. Das Besondere an diesem so genannten Krankenpflegeorden war, dass sich die Antoniter im Vergleich zu anderen Orden ausschließlich der Behandlung eines einzigen Leidens widmeten. Und das war der Mutterkornbrand. Dabei handelt es sich um eine Krankheit, die durch den Verzehr pilzbefallenen Getreides ausgelöst wurde. Die Verläufe der Betroffenen waren meist sehr schmerzhaft und selten heilbar. Das Gefühl innerlich zu brennen, führte schließlich zur landläufigen Bezeichnung der Krankheit als „Antoniusfeuer“.

Wurden die Kranken aufgenommen, so unterwarfen sie sich den strengen Ordensregeln: Gehorsamkeit, ewige Keuschheit und Verpflichtung zum Gebet (zwölf Vater-Unser und zwölf Ave-Maria pro Tag).
Sie wurden lebenslang versorgt, beerbten nach ihrem Tod aber die Antoniter. Behandelt wurde nach dem Prinzip "Glaube durch Heilung" und "Heilung durch Glaube": sie bekamen einwandfreies Brot und "Antoniuswein" mit 14 Heilkräutern. Half dies nicht, so mussten die befallenen Gliedmaßen amputiert werden.

Die Verehrung des Hl. Antonius geht auf die Laienbruderschaft zurück, die sich als erste der Heilung des Mutterkornbrandes verschrieben hatte. Aus dieser Gemeinschaft, zu der anfangs auch Frauen zählten, wurde im Jahr 1247 auf päpstlichen Beschluss der Antoniterorden. Mit der Aufwertung zum Orden ging allerdings auch die Abwertung der Frauen einher, die nur mehr pflegende Dienste übernehmen durften.

Das Strigel-Museum in der ehemaligen Hospitalanlage des Antoniterordens. © Strigel-Museum/Carsten Eisfeld

Ein Kleinod von Seltenheitswert

Die Niederlassung in Memmingen entwickelte sich parallel zur nicht nur an Bedeutung wachsenden Stadt zu einem Zentrum des Antoniterordens. Sichtbares Zeichen dieses Aufschwungs und des Bewusstseins um die eigene Bedeutsamkeit war der Bau eines Ordensspitals. Die Vierflügelanlage wurde Ende des 15. Jahrhunderts an zentraler Stelle errichtet. Die imposante Anlage zeigt die Stadt Memmingen als wichtigen Knotenpunkt im Netzwerk der Ordensniederlassungen in Europa.

Dem Engagement einer Memminger Bürgerinitiative ist es zu verdanken, dass die älteste historische Anlage des Ordens in Europa gerettet werden konnte. Mitte der 1990er Jahre wurde die Anlage aufwendig saniert. In ihr sind unter anderem die Stadtbibliothek und die Museen im Antonierhaus untergebracht. Neben dem Antoniter-Museum, das die Ordensgeschichte beleuchtet und den Lebensalltag im Spital schildert, ist zudem das Strigel-Museum untergebracht. Was sich so unscheinbar anlässt, überrascht auf den zweiten Blick. Hier am historischen Ort wird die Geschichte des Antoniterordens lebendig gehalten und zudem Kunst aus der Zeit präsentiert. Das Antonierhaus mit seinen Museen ein Gesamtkunstwerk zu nennen, ist vielleicht etwas hoch gegriffen, aber es ist ein besonderer Kulturort, der (Kunst-)Geschichte atmet.

Bernhard Strigel, Johannes Cuspinian und seine Familie, 1520 (Vorderseite) © Strigel-Museum

Wegweisende Politik und stilbildende Kunst

Hinzu kommt, dass die Künstlerfamilie Strigel weit über Memminger Grenzen hinweg Berühmtheit erlangte. Ihr wohl bekanntester Vertreter war der Maler Bernhard Strigel. Er brachte es bis zum Porträtmaler am Hof Kaiser Maximilians I. Das Gruppenporträt der kaiserlichen Familie, das im Kunsthistorischen Museum in Wien gezeigt wird, ist eines seiner berühmtesten Werke. Im Stil dieses herrschaftlichen Familienporträts ließ sich auch Johannes Cuspinian verewigen, der in diplomatischen Diensten Kaiser Maximilians I. stand. Das zeugt auch vom Selbstbewusstsein Cuspinians, dessen Verhandlungsgeschick die so genannte Wiener Doppelhochzeit ermöglichte, die den Grundstein für die Österreichisch-Ungarische Monarchie bildete. Für die Kunstgeschichte hatte dieses Gemälde eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Bedeutung, brachte es doch Licht ins Dunkel und läutete ein neues Forschungsfeld ein.

Bernhard Strigel, Johannes Cuspinian und seine Familie, 1520 (Rückseite mit Inschrift) © Strigel-Museum

Die Entdeckung des Bernhard Strigel – ein Rätsel wird gelöst

Den Urheber des Cuspiniangemäldes konnte man lange Zeit nicht fassen. Für einige qualitativ sehr hochwertige Gemälde dieser Zeit kursierte die Bezeichnung „Meister der Sammlung Hirscher“, genauer gesagt bis 1880. In diesem Jahr machte der Kunsthistoriker Wilhelm von Bode eine weitreichende Entdeckung und die hatte mit besagtem Familienporträt von Johannes Cuspinian zu tun. Es befand sich damals in der königlichen Sammlung in Berlin. Das eigentlich Spannende war jedoch nicht das Gemälde selbst, sondern seine Rückseite. Auf ihr entdeckte von Bode eine Inschrift, die den Schöpfer des Kunstwerks benannte: Bernhard Strigel, Maler und Memminger Bürger. Die Inschrift offenbarte zudem, dass auch das Gemälde Kaiser Maximilians I. und seiner Familie von Bernhard Strigel „manu sinistra“, also mit der linken Hand, gemalt worden war. Das Bekanntwerden des Namens war der Startschuss für die Forschung zu Bernhard Strigel und brachte neue Details zur Geschichte der Künstlerfamilie zutage. Solche Entdeckungen sind ein Glücksfall für die Forschung und alle Interessierten.

Rückkehr nach Memmingen

Mit dem Familienporträt kehrt der Grundstein der Strigel-Forschung an den Ort seiner Entstehung zurück. Mithilfe der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Sparkassenstiftung Memmingen-Mindelheim konnte das Bild von Johannes Cuspinian und seiner Familie für das Strigel-Museum erworben werden. Seit Mai 2019 ist das Gemälde in Memmingen zu sehen. Anlässlich der Rückkehr dieses zentralen Werks wurde die Dauerausstellung neu konzipiert und rund um Bernhard Strigel, die zentrale Figur der Künstlerfamilie, ausgerichtet. Und auch hier gilt – wie in allen Memminger Museen – freier Eintritt!

Axel Städter, Strigel-Museum und Antoniter-Museum Memmingen