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Wie totes Holz den Wald belebt

Wenn aus totem Holz neue Bäume wachsen, Foto: Philipp Falk
Totholz wie dieser Baumstumpf dienen anderen Organismen in vieler Hinsicht – so etwa als „Wohnort“ für diese Pilze
Die Vision von BIOTOPIA ist es, Beziehungen mit anderen Lebewesen neuzugestalten – hier ein Kind mit einem sogenannten Wandelnden Blatt. Foto: BIOTOPIA / Robert Gongoll

Seit Jahrhunderten werden in Deutschland Wälder wirtschaftlich genutzt. Doch welche Auswirkungen haben diese Eingriffe auf das Ökosystem Wald und wie hat sich die Forstwirtschaft seit dem Mittelalter verändert? Dominic Anders nimmt uns mit auf den Holzweg in den Forst.

Gastbeitrag von Dominic Anders, Gastwissenschaftler bei BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern

Woran denkt ihr beim Thema Wald? Den tiefen, dunklen Wald aus Grimms Märchen, in dem der böse Wolf lauert? Erholsame Spaziergänge bei allsonntäglichen Ausflügen in die unberührte Landschaft? Verwilderte, ungezähmte Natur, weitab der menschgemachten Zivilisation?

Der deutsche Wald ist zahm geworden. Bereits im 13. Jahrhundert waren unsere naturgewachsenen Wälder ausgebeutet, und der Grundstein war gelegt für unsere moderne Waldlandschaft, die heute größtenteils aus Wirtschaftswald besteht. Wälder (oder besser: Forste) waren nun Monokulturen, die vorrangigen wirtschaftlichen Interessen des Menschen dienten. Dieses „anthropozentrische Waldbild“ besteht bis heute fort. Bis ins kleinste Detail werden alle Aspekte, Kreisläufe und Arten des Waldes verwaltet, kontrolliert und manipuliert. Mittlerweile haben wir aber zumindest gelernt, dass das gar nicht so einfach ist, wenn wir nachhaltig die Vorteile genießen möchten, die Wald und Forst uns bieten. Noch immer tritt der Mensch als Verwalter und Regulator auf den Plan, aber heute vermehrt mit dem Ziel, sich dem intakten Ökosystem eines ursprünglichen Urwaldes, soweit es geht anzunähern, zumindest wenn die wirtschaftlichen Interessen dies erlauben. Doch was genau sind die Faktoren, die einen Wirtschaftswald von einem echten Urwald unterscheiden?

Generell lässt sich die Frage wohl mit einem Begriff beantworten: Vielfalt. Diese wird im natürlich gewachsenen Wald ohne menschliche Eingriffe durch mehrere Aspekte gewährleistet. Sie umfasst die Vielfalt an Baumarten, der Altersstruktur des Waldes und das Vorhandensein von natürlichen Regulatoren, wie Raubtieren, Parasiten und Pathogenen. Und gerade zunächst unbelebt erscheinende Elemente gehören zu den wichtigsten Quellen für diese Diversität: Totholz etwa ist ein ausschlaggebender Faktor für die Artenvielfalt eines Waldes. In abgestorbenen Baumstämmen finden Fledermäuse, Hornissen und höhlenbrütende Vögel wie der Specht ein Zuhause. Unter und in verrottendem Holz sind allerlei Insekten, Schnecken, Tausendfüßer und Asseln tätig und ernähren sich von ihm, genauso wie viele Pilz- und Bakterienarten. So entsteht ein Ökosystem mit hochspezialisierten Lebewesen, basierend auf Holz in verschiedenen Zersetzungsstadien – und enge Verflechtungen mit weiteren Arten im Nahrungsnetz: als Lebensraum für Beutetiere, als Nahrung, als Grundlage für Symbiosen. Verlagert der Mensch dieses gar nicht so tote Holz künstlich aus dem Wald heraus, noch bevor es der Grundstein für solch einzigartige Lebensgemeinschaften werden kann, so fehlen der Nahrungskette wichtige Glieder.

Der Trend geht aber immer mehr hin zum naturnahen Wirtschaftswald oder sogar zum sekundären Urwald. Das Spektrum der angepflanzten Arten wird wieder in Richtung eines naturgewachsenen Waldes verschoben. Dem Wald wird erlaubt, eine Strukturvielfalt zu entwickeln und wo es geht, älter zu werden. Totholz wird vermehrt gezielt belassen oder sogar extra als Maßnahme eingebracht, um mehr Organismen Lebensraum und Nahrung zu bieten.
Und auch in den Köpfen tut sich einiges: Wir fangen an, uns nicht mehr als das Zentrum der Welt zu betrachten, sondern erkennen zunehmend, dass wir nur eines der vielen Pflänzchen im dichten Wald des Lebens sind.

Die Vielfalt vor unserer Haustür, die Zusammenhänge in Ökosystemen, der Einfluss des Menschen auf unsere Umwelt: Diese Beziehungen zu hinterfragen und neuzugestalten ist auch die Vision für das in München geplante BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern. Als Neuerfindung und Erweiterung des Museums Mensch und Natur am Nymphenburger Schloss wird es Besucher auf völlig neue Weise an einige der drängendsten Fragen unserer Zeit heranführen, Lebensprozesse, Ökosysteme und Verhaltensweisen erforschen. Denn Leben entdecken kann man überall – auch unter einem schlichten Stückchen Holz.

BIOTOPIA – NATURKUNDEMUSEUM BAYERN (externer Link, öffnet neues Fenster)
Maria-Ward-Str. 1a
80638 München
Email: contact​(at)​biotopia.net (öffnet Ihr E-Mail-Programm)
Tel.: 089 2180 72191